Behinderte Turing-Maschinen. Kommentare von unten zu Oswald Wieners intellektuellem Ableismus
Ann Cotten
2022/11/07
Ich bin ein Fan von Oswald Wiener, Die Verbesserung von Mitteleuropa schreibt mir aus der Seele, wenn irgendein Buch das tut. Da ich immer Distanz gehalten habe, kam es auch nie zu Konflikten mit dem charakterlich durchaus faschistoiden Guru der Introspektion; sein psychologisches Regime nahm ich zur Kenntnis.
Wenn ich jetzt wieder einmal seine Schriften durchsehe, und vielleicht ein gewisser Druck, mit der Behauptungsarchitektur mitzuhalten, nach Wieners Ableben verschwunden ist, dann fällt mir auf, dass der große, starke, hochintelligente Jazz-Trompeter eine Art geistigen Able-ismus praktiziert hat. Nun bin ich nicht gerade die Promoterin von Texten in Einfacher Sprache, Kaindlsdorfers Welt ist mir ein Graus. Aber je mehr ich in verschiedenen Disziplinen und Sprachen surfe, desto mehr bin ich für Transparenz als pädagogische Methode dankbar. Vielleicht gerade, weil ich mir schwer tue, sie selbst zu performen und immer lieber für die schreibe, die ich für klüger als mich selbst halte.
Es ist nicht zu leugnen, dass eines der Punkte, die mich für Wiener und die Verbesserung unhintergehbar einnahmen, die schlaue, stets wache, hinterlistige und spielfreudige Grammatik ist, die geradezu auf Lesernnnie lauert, die Lust und Fähigkeit haben, mitzuspielen. Zumindest wird dieses Gefühl vermittelt, und dass der Able-ismus einer von Outsidern ist, weil der Mainstream, nebst unsichtbarer und konsequenzloser Komplexität, immer genau wegen diesem statistischen Verschwindenlassen von Anderem mit einer Stumpf- und Dummheit einhergeht, macht den Able-ismus auf eine Art wieder sympathisch und tragbar. Wiener hat keine Geduld mit einem trägen Mainstream, das alles nochmal bestätigt, abgesichert und mit Rüschen serviert bekommen möchte. Es ist eben die Eigenschaft von Fachsprachen, dass ein gewisser Laienfilter unumgänglich ist. In Wieners Fall ist die Fachsprache eben idiosynkratisch – das ist die narzisstische Note, unwiderstehlich evident wie ein Kleinkind.
Der Punkt, der mich als literarischne Kollegni besonders interessiert, ist, dass diese idiosynkratische Sprache durch die Metaphernbenutzung wieder ganz offen für interessierte Weltbewohnernnnie ist. Bei vielen seiner selbst geprägten Begriffe versteht man nicht nur sofort, was Wiener meint, sie eröffnen auch neue Perspektiven auf das Material. Oft sind sie wie Nordwestpassagen oder Durchbrüche nicht tragender Wände zwischen Fachbereichen. Zu diesen zähle ich auch eine zentrale Metapher in Oswald Wieners Überlegungen zur Ontologie von Sprache, Menschen und Vorstellung: die Turing-Maschine.
1. Die Turing-Maschine als Metapher
Wenn man „Zustand“, „Maschine“, „Befehl“ usw. weit fasst und wie bei Wörtern wie Interface neu überlegt, was nicht alles damit bezeichnet werden könnte, lässt sich die ganze Welt als Turing-Maschine bezeichnen. Weil ich mich im letzten Jahr damit beschäftigt habe, resonniert mir dabei Nishida Kitarôs Logik des Orts und dessen Intersektion mit der Zeichentheorie des frühen Peirce, die an einem infiniten Regress krankte, da jede Bedeutung das Denotat einer dahinterliegenden Bedeutung war, ohne dass diese Kette je ein denkbares Ende hätte.
Diese Unendlichkeit ähnelt der Narration der Funktionsweise des Bewusstseins, der Wahrnehmung, und des Daseins der Welt, die aus der buddhistischen Tradition kommt. Wohin der Blick auch fällt, ist etwas am Werden und am Zerfallen, und erschließt sich dem notwendig interpretierenden Auge dank einer geistigen Grundsubstanz bzw. -struktur, die allem Materiellen und Geistigen gemeinsam ist, und die wir zunächst einmal nicht kennen, auch, weil keine Sprache dafür denkbar wäre, die nicht selbst Gegenstand der Beobachtung wäre. Das legt den Finger (Buddhas) genau auf das Problem jeder Vorstellung von Erklärung, dass irgendwie von vornherein bestimmt ist, was für eine Art von Erzählung als eine Erklärung anzusehen wäre. Hingegen verweist Buddhistische Theorie immer wieder auf den leeren Topos als Kern, auf Meditation, und konstruiert gefinkelte Weiser wie Meditationsanleitungen oder Koans, ähnlich wie in der Geometrie Graphitstriche anzeigen, wo ein Punkt wäre, wenn man sich einen solchen vorstellen könnte. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Heisenbergsche Unschärfekonstante, der zweite Satz der Thermodynamik, von fernöstlicher Seite mit großem Interesse aufgenommen wurden und vielfach in die moderne Theoriebildung mit aufgenommen wurde – was im Westen etwas stockender, wenn überhaupt, passiert.
Dabei muss man aber die Gegenläufigkeit der Narrativen feststellen. Eine Beschreibung der Welt als Turingmaschine kokettiert mit der frivolen Vorstellung einer mathematischen Utopie, der Phantasie einer theoretisch möglichen allmächtigen Mathematik, die alles unter der Sonne als mathematische Formel erfassbar macht, sodass die Unsauberheit und Dämlichkeit der Sprache endlich ein Ende hätte. Dabei wird alles in absolute, also geistige Wahrheit übersetzt, das heißt, simuliert, womit es absolut haltbar und auch natürlich absolut unnahrhaft wird. Wir dürfen also nicht vergessen – und Oswald Wiener in seiner Hedonik hat es auch nicht vergessen lassen – dass wir bei solchen Gedanken eben bloß Simulatorennni von Turing Maschinen, Babbage Engines und sonst etwas sind. Wir haben Ungeduld und Müdigkeit, Motivations- und Konzentrationsstörungen, weil wir körperlich und sterblich sind. Die ostasiatische Tradition ganz generell, verwurzelt im dem Buddhismus vorangehenden Daoismus, geht hingegen von der ständigen Veränderung von allem aus. Diese allem Organischen anzusehende Eigenschaft ist die selbstverständliche Grundregel, Konformität mit welcher von jeder ernstzunehmenden Theorie verlangt wird. Wir sehen bei der Turingmaschine das Harte, die Formeln; was wäre, wenn der Blick ins Negativ kippt und wir nur die Bewegung zwischen den Zuständen sähen?
2. Ableismus
Able ist ein englisches Wort, das grammatisch eigentlich nur im Zusammenhang mit einem Zielobjektiv vorkommen kann. Auch wenn es alleine vorkommt, etwa in „able-bodied seaman“, einem ersten Promotionsgrad auf See, ist semantisch impliziert: able (to do X). Das heißt, im Wort „able“ ist eine Zielgerichtetheit eingeschrieben, die auch immer zur Hand ist, wenn Fähigkeiten gemessen werden. Menschen werden an Aufgaben gemessen. In der Erforschung des Willens – dem immer wieder entscheidende und erstaunliche Rollen im Bereich zwischen Bedeutungsbildung, Handlungsethik und Bewusstseinsforschung zukommen – kommt die merkwürdige Frage nach der Kontrolle des Willens – durch den Willen? – auf. Europäische Sprachen bringen die Notwendigkeit mit sich, immer Subjekte für Handlungen zu erfinden. In anderen Sprachen ist es leichter, festzustellen, dass etwas passiert – realistischerweise oft aus im Zusammenwirken einer Anzahl von Faktoren. Diese wirken oft direkt aufeinander, mechanisch könnte man das beschreiben – wenn man das Mechanische organisch locker nimmt, wie die chemischen Kommunkationsketten biologischer Systeme. Man kann hier oft ohne den Willen auskommen, der dadurch freier wird für eine Rolle als Beobachterni, hin und wieder eingreifend oder formulierend, Trägerni von Bedeutung wie als Intentionalität in der Bedeutungstheorie, die Nishida aus einer Linie von Fichte über Meinong heraus entwickelt. (働くものから見るものへ、1927)
Von Ableismus einen Schritt zurückzutreten heißt nicht, alles auf den Stand ders schwächsten Mitarbeiters oder Mitmenschen zu reduzieren, sondern eigentlich die Bewertungsstruktur einer Reihe von zielgerichteten Aufgabenstellungen in Frage zu stellen und den Blickwinkel durch dieses Zurücktreten von einem möglichst effektiven, heroischen Handelnden auf ein ganzes Ökosystem zu erweitern. Was passiert in der Zeit, die jemand braucht, um etwas langsamer zu kapieren. Wie liest jemand ohne schnell zuschnappende Fachvokabularkenntnis den selben Text?
Diese Fragen stellen sich mir gerade als eine notorisch Schnelle, die nach und nach bemerkt hat, wieviel sier dabei übergeht, einfach nicht checkt. Dass kapieren eben aus dem ganzen Raum zwischen Checken im Sinn von abhaken und Realisieren im Sinn eines Zurkenntnisnehmens aller Aspekte und ihrer Konsequenzen und Einflüsse und dem Ermöglichen von dessen Einwirken auf die denkende Person.
Diese Fragen möchte ich also in den Raum stellen, wenn Tada Kanako und ich die folgende Performance durchführen, in der wir uns durch die weiche Erde einer frisch im Erlernen begriffenen Sprache pflügen. Als jeweils durchaus versierte Lesernnnie in der eigenen Sprache und auf Englisch spüren wir den Unterschied sehr deutlich – aber auch das psychedelische Feuerwerk von nicht zielgerichteten Streubedeutungen, das, wenn man mehr Ahnung hat, als Noise erkannt und quasi automatisch wegreduziert wird.
Wir werden einfach lesen, ne. Und wenn wir ein Wort nachschlagen müssen, dann stehen wir auf und schreiben es an die Tafel. Ok los.