Das Zeitalter des Showbusiness

Ein Bekannter von mir, ein eifriger Student, kam am Tag vor einer wichtigen Prüfung abends in seine kleine Wohnung zurück und mußte festgtellen, daß seine einzige Lampe kaputtgegangen war und sich nicht reparieren ließ. Nach einem kurzen Anfall von Panik gelang es ihm, seinen Gleichmut ebenso wie seine Aussichten auf eine befriedigende Note wiederherzustellen: Er schaltete den Fernseher ein, drehte den Ton ab, und mit dem Rücken zum Gerät nutzte er dessen Licht, um noch einmal die wichtigsten Passagen nachzulesen, zu denen er befragt werden würde. So kann man den Fernseher benutzen – zur Beleuchtung einer Buchseite.
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Ich erwähne diese verwegenen Varianten der Fernsehnutzung, um die von manchen gehegte Hoffnung ad absurdum zu führen, das Fernsehen könne durchaus zur Stützung der traditionellen Formen von Bildung gebraucht werden. Diese Hoffnung entspricht genau dem, was Marshall McLuhan »Rückspiegeldenken« genannt hat. Das »Rückspiegeldenken« geht davon aus, daß ein neues Medium lediglich die Fortsetzung oder Erweiterung eines älteren sei, und sieht im Auto nur ein schnelles Pferd oder in der Glühbirne eine besonders starke Kerze. In diesen Fehler zu verfallen hieße in unserem Zusammenhang, völlig zu verkennen, auf welche Weise das Fernsehen eine Neubestimmung des öffentlichen Diskurses vollbringt. Weder setzt das Fernsehen die Schriftkultur fort, noch erweitert es sie. Es attackiert sie.
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Wenn man sagt, das Fernsehen sei unterhaltsam, dann ist das zunächst nichts weiter als eine Banalität. Aus dieser Tatsache ergibt sich noch keine Bedrohung für die Kultur, und es würde sich nicht einmal lohnen, ein Buch darüber zu schreiben. Man könnte sich sogar darüber freuen.
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Um es anders zu formulieren: Das Entertainment ist die Superideologie des gesamten Fernsehdiskurses. Gleichgültig, was gezeigt wird und aus welchem Blickwinkel- die Grundannahme ist stets, daß es zu unserer Unterhaltung und unserem Vergnügen gezeigt wird. Deshalb fordern uns die Sprecher sogar in den Nachrichtensendungen, die uns täglich Bruch stücke von Tragik und Barbarei ins Haus liefern, dazu auf, »morgen wieder dabeizusein«. Wozu eigentlich? Man sollte meinen, daß einige Minuten, angefüllt mit Mord und Unheil, Stoff genug für einen Monat schlafloser Nächte bieten. Aber wir nehmen die Einladung des Nachrichtensprechers an, weil wir wissen, daß wir die »Nachrichten« nicht ernstzunehmen brauchen, daß sie sozusagen nur zum Vergnügen da sind.

aus Neil Postman: Wir amüsieren uns zu Tode. Frankfurt a.M. 1992