Vortrag zur Eröffnung am 29.4.2014 von
Katharina Jesberger
„When too perfect liebe Gott böse“ – dieser Satz ist einer von den vielen Aphorismen, die Paik immer wieder geliefert hat und die immer mit ein bisschen Witz etwas eröffnen – manchmal auch nichts eröffnen, sondern einen perplex hinterlassen. Ein weiterer sehr bekannter Satz von ihm ist: „There is no rewind button for life“. Paik hat solche Sätze oft geliefert und sie wurden vom Video-Kurator Wulf Herzogenrath als „paikisch“ bezeichnet, also eben als typisch Paik. Dieses Paikisch ist charakterisiert durch einen Sprachmischmasch, den sein Nomadenleben gekennzeichnet hat.
Paik ist Koreaner, Koreanisch war seine Muttersprache. Er ist 1932 in Korea geboren, 1950 emigrierte seine Familie über Hongkong nach Japan. Zur Zeit von Paiks Geburt war Korea vom faschistischen Japan besetzt. Paik absolvierte 1950 in Tokyo ein Musikstudium und zeigte dabei ein besonderes Interesse für Neue Musik. 1956 zog Paik nach Europa, dabei war Wien der erste Ort, an dem das Flugzeug gelandet ist. Paik ist nicht in Wien geblieben, sondern zog weiter nach München und Freiburg. Hier interessierte er sich für Zwölftonmusik, insbesondere Arnold Schoenberg – dies war für ihn das Extremste, was in der Musik gibt und Extremes hat ihn immer interessiert. Weitere Stationen: in München versuchte Paik sich eine möglichst universale Bildung über europäische Kultur und Geistesgeschichte anzueignen, kam daraufhin nach Köln in die Studios des WDR. Bei den „Internationalen Ferienkursen für Neue Musik“ in Darmstadt traf er John Cage; in Köln beteiligte er sich an Aktionsmusik und kam über Stockhausen in den Fluxus-Kreis um George Maciunas. Später lebte Paik in New York und war dort mit der japanischen Videokünstlerin Shigeko Kubota verheiratet. Aufgrund dieser Stationen lässt sich erklären, warum Paik in seinen Sätzen immer wieder verschiedene Sprachen vermischt hat.
Paik wird häufig bezeichnet – gelabelt – als „der“ Pionier der Video- oder Medienkunst. Begründen lässt sich dies dadurch, dass er 1965 mit seiner aus Japan mitgebrachten technisch fortschrittlichen Videokamera den Besuch des Papstes in New York aufnahm und diese Aufnahme am selben Abend bei der Eröffnung seiner Ausstellung zeigte. Daraufhin konnte er dieses Etikett für sich verbuchen, der Erste zu sein, der Video in der Kunst eingesetzt hat.
Das zweite Label, mit dem Paik meist versehen wird, ist das des „Visionärs“, der zum Beispiel 1974 schon von „Electronic Superhighways“ sprach und damit die Bedeutung, die das Internet später für uns bekommen würde, sehr früh vorausgesehen hat.
Nur diese beiden Aspekte zu betrachten, kommt allerdings zu kurz. Interessant am „Paikischen“ ist eigentlich seine Denkweise, Konzepte, welche Paik in allen seinen Werken umgesetzt hat, in all seinen sehr unterschiedlichen Werken, also Performances, Zeichnungen, Installationen, Videobändern und eben auch Schriften und Sprachwerken.
Das Motto „When too perfect, lieber Gott böse“ weist auf Charakteristika, die sich überall durchsetzen. Too perfect könnte auch heißen: too perfect, too geplant, zu wenig offen, zu fertig. Bei Paik darf ein Kunstwerk das nicht sein, der Zufall muss immer eine bedeutende Rolle spielen. John Cage hat den Zufall in der Musik aufgegriffen, zum Beispiel, indem vor der Aufführung eines Stückes I Ching Münzen geworfen werden und dadurch die Reihenfolge der Kompositionsteile im Stück jeweils entschieden wird. Bei Cage ist dies aber ein geplanter Zufall, der Zufall wird Teil der Komposition. Bei Paik ist hingegen auch ungeplanter Zufall Teil seiner künstlerischen Arbeitsweise. Dies zeigt sich schon bei den Werken seiner ersten wichtigen Ausstellung, der „Exposition of Music – Electronic Television“ von 1963. Viele Werke dieser Ausstellung befinden sich heute in der Sammlung Hahn im mumok in Wien und wurden 2009 ausführlich ausgestellt. Sie beinhalten zum Beispiel Fernseher, die Paik dergestalt manipuliert hat, dass neue Bilder erscheinen, bis hin zu reinen Wellenbewegungen. Zu dieser Art, Fernseher zu manipulieren, ist Paik auch sozusagen nur über den Zufall gekommen. Paik war angestiftet durch K.O. Götz, ein Maler, der im Krieg als Nachrichtensprecher arbeitete, und der sich sehr für derartige Bilderscheinungen auf Fernsehsbildschirmen interessiert hat. Götz selbst hat immer versucht, diese Bilderscheinungen zu beherrschen, er wollte also ein bestimmtes Muster erzeugen. Paik hingegen interessierte sich gerade dafür, dass es nicht zu beherrschen ist, dass diese Wellen eigentlich machen was sie wollen, in einer Freiheit, die Paik in der Musik der Avantgarde gesehen hat.
Im nächsten Schritt entstand der Wunsch, diese Freiheit auch an die Kunstrezipienten weiter zu geben. So konnte man zum Beispiel mit einem Magneten vor dem Bildschirm stehen und selbst das Fernsehbild verändern. Viele Objekte, die Paik in seiner ersten Ausstellung zeigte, heissen „Zen for …“ Objekte, wie zum Beispiel „Zen for Walking“. Es sind alles Arbeiten die irgendwie auch benutzt werden können und bei denen eine Begegnung stattfindet zwischen Subjekt und Objekt, bzw. zwischen dem Menschen und dem Objekt. Die meisten Arbeiten beinhalten auch eine Verschiebung in Richtung Sound. So besteht „Zen for Walking“ aus einer Violine, die Paik an einer Schnur hinter sich her zieht und die damit sehr zweckentfremdet gespielt wird. Ein weiteres Beispiel ist ein Plattenspielerarm, ein phallusartiges Objekt, das in den Mund genommen eine Schallplatte abspielt („Listening to Music through the Mouth“).
Zum Stichwort Zufall gehört auch „Variability“, also Variation, ein wichtiges Gestaltungsprinzip, wie es zum Beispiel in den Performances mit Charlotte Moorman vorkommt. Auch hier haben wir diese Begegnung zwischen dem Körper, dem Menschen und dem Objekt, das eigentlich immer wieder gewechselt hat. Charlotte Moorman war Cellistin, ursprünglich eine Interpretin klassischer Musik in New York, die aber, seit sie mit Paik gearbeitet hat, nie wieder im Bereich der Klassik arbeiten durfte und konnte, unter anderem, weil sie gelegentlich nackt auftrat, oder eben auch im Sinn der Variabilität, mal ausgestattet mit dem sogennanten „TVBra“, einem BH bestehend aus zwei umgeschnallten Fersehbildschirmen, welche Bilder zeigten, die durch das Cellospiel verändert wurden, indem Tonfrequenzen des Cello an die Fernsehbildschirme weitergeleitet wurden. Variabel auch in dem Sinne, dass Moorman das Spiel abrupt unterbricht, also das seriöse Konzert unterbricht und in eine wassergefüllte Regentonne steigt, oder in Momenten, in denen sie Paik selbst spielt anstelle des Cellos – er hält eine Cello-Saite über seinen nackten Rücken gespannt. So ergibt sich ein wechselseitiges Spiel mit den Geschlechtern, mit Nacktheit und mit Sexualität, zwischen Mann und Frau , aber auch zwischen dem Asiaten und der US-Amerikanerin.
All diese Arbeiten variieren ständig, sie sind wie Proben, die sich immer wieder wiederholen, dabei aber jedes mal anders sind und einfach aus der Liveperformance heraus entstehen. Und alle diese Arbeiten beinhalten immer wieder kleine Häkchen, die sie mit anderen Arbeiten aus der Kunstgeschichte verbinden. Bei Charlotte Moormann denkt man einerseits an die japanische Künstlerin Atsuko Tanaka, die das „Electric Dress“ gemacht hat, sich also mit Leuchtstoffröhren bekleidet, oder andererseits an die Photographie von Man Ray, bei der auf dem Rückenakt Schallöcher einer Violine aufgemalt sind. Damit macht Paik kleine Spitzen, ohne aber diese groß aufzulösen.
„too perfect“ würde bei Paik auch heißen: too useful also too schön, too serious, zu funktionstüchtig. Dazu gibt es einen weiteren Satz von Paik: „Ich liebe die sogenannte antitechnologische Technologie“. Er hat die Dinge gerne ihrem Zweck entfremdet, nicht funktionstüchtig eingesetzt. So hat er den „TV Chair“ gebaut, einen Stuhl, dessen Sitzfläche der Fernsehbildschirm ist, den man aber keineswegs sehen kann, wenn man auf dem Stuhl sitzt. Der Fernseher ohne Bild hat ihn eben genauso interessiert. Er unterscheidet nicht zwischen Destruktion und Konstruktion, sondern für ihn ist allein die Formveränderung die Qualität. Er sagt dazu: „Mein experimentelles TV ist nicht immer interessant, jedoch nicht immer uninteressant, wie die Natur, die s c h ö n ist, nicht, weil sie sich schön v e r ä n d e r t, sondern einfach, weil sie sich verändert.“ Weiters: „Norbert Wiener sagte auch, die Information, mit der eine Botschaft gesendet oder moduliert wird ist genau so wichtig wie Information, mit der keine Botschaft gesendet oder moduliert wird. Dementsprechend John Cage könnte sagen, eine Notation, nach der Musik spielbar ist ist so wichtig wie eine Notation, nach der Musik nicht spielbar ist.“ Auch wenn bei Paik dies alles immer mit Humor verbunden wird, fordert dieser Humor trotzdem, daß die Rezeptionssituation aufrecht erhalten wird. Also verlangt Paik: „Wenn du mein TV siehst sieh es dir auf jeden Fall länger als 30 Minuten an“. In diesem Sinn möchte er ernst genommen werden, aber der Witz bleibt trotzdem erhalten. So gibt es bei ihm den O-Ton: „Provokation ich mag.“ Und Paik ändert die Zeitrechnung b.c. (Before Christ) um in: „before and after Cage“. Damit ist auch ein Entthronen der großen Vordenker da, auch bei Leuten, die ihm wichtig waren. So hat er bei einer Tanzperformance von Merce Cunningham eine Schallplatte von Arnold Schoenbergs Klavierstück OP 33 vierfach langsamer gespielt, mit 16 RPM, um, so wortwörtlich, „Schoenberg zu verbessern“.
Too perfect würde auch heißen: too perfect ist too ausgewogen, also too balanciert. Wie bereits gesagt, gibt es in den Performances musikalisch gedachte Variationen über ein Thema, auch bei anderen Werken, indem sie immer wieder auch anders weiter verarbeitet werden. Aber das Zentrum, das eigentliche Thema, das bleibt immer unklar, das ist immer wechselhaft. Bei Paik hat man das Gefühl, dass es kein Mittelmaß gibt; das Mittelmaß scheint zu fehlen. Die Werke sind entweder still, leise, leer oder sie sind wirklich riesig, schrill, laut und knallig bunt. Für die eine Seite stehen Arbeiten wie „Zen for TV“, die so reduziert ist, dass man auf einem Fernsehbildschirm in der Mitte nur eine leuchtende Linie sieht. Auf der anderen Seite gibt es diese riesengroßen Wände voller Fernsehbildschirme, die er in den 90er Jahren aufgebaut hat,bei denen man wie vor einem Licht- und Sound-Klavier steht, das einen die ganze Zeit bespielt – eine Art Schockwirkung, die ihn sehr interessierte.
Von seinen Arbeiten sind die stillen Arbeiten mehr und früher bekannt geworden. Arbeiten wie „TV Buddha“, eine Buddhastatue, die vor einem Fernseher sitzt und dabei in einer in einer Closed- Circuit-Installation von einer Videokamera aufgenommen wird. Die Buddhastatue beobachtet ihr eigenes Bild im Fernseher. Diese stillen, bekannteren Arbeiten zeichnen sich häufig auch durch Leere aus, so wie „Zen for Film“, das aus der Projektion eines leeren, durchsichtigen Filmstreifens besteht. Man hat nur ein weißes Bild, eine Lichtprojektion im Kinosaal. Wie bei Cage, in dessen „4’33″“ kein Sound zu gespielt wird. Dadurch wird dann erst der Sound der Leere hörbar, und bei Paik ist nicht die Stille vom Ton sondern die Stille vom Bild zu wahrzunehmen, die man eben sieht und die dann auch die Umgebung sichtbar macht, im Fall von „Zen for Film“ sind es der Staub auf dem Celluloidstreifen, die Spannung der Leute im Raum usw.
Dass diese stillen Arbeiten soviel mehr rezipiert worden oder beliebter geworden sind, hat auch damit zu tun, dass in der Rezeption auch viel auf Zen-Philosophie verwiesen worden ist. Paik selbst war aber wichtig, auch auf seine koreanischen Wurzeln zu verweisen, indem er eine Linie zog zu den mongolischen Nomadenvölkern und dem Schamanentum. Daher haben auch seine „lauten“ Arbeiten eine wichtige Funktion für ihn, nämlich diese Schockwirkung, wie sie auch der Stierkopf ausübte, den er am Eingang seiner allerersten Ausstellung aufgehängt hat. Der Schamane, der eine Art Tier-Mensch Verbindungen eingehen kann, kann auch Zeitreisen machen, indem er sich sozusagen über der linearen Zeit befindet. So gibt es auch bei Paik Mensch-Maschine-Fusionen und auch eine Missachtung von linearer Zeit. Er baut einerseits Roboter, welche wirklich funktionieren, aber er baut auch Roboter aus antiquierten Fernsehern, in den 80er Jahren aus Fernsehmöbelstücken der 30er, kombiniert also futuristisches Roboterbauen mit antiquierten Fernsehmöbelstücken.
Dies sind ein paar grundlegende Bausteine in den Werken von Paik. Man sieht eigentlich, dass er in den ersten 15 Jahren seines künstlerischen Schaffens einen Großteil seiner Werke vorgeprägt hat, also die Werke aus der „Exposition of Music…“, die Paik/Moorman Performances, der Roboter „Robot K-456“ den er zusammen mit dem japanischen Ingenieur Shuya Abe konstruierte, und dann auch noch der „Paik/Abe Synthesizer“, der Video und elektronisch generierte Bilder kolorieren und verzerren konnte, und dann eben die daraus entstandenen Videobänder. Dies sind die eigentlichen Bausteine, aus denen er dann seine Installationen für sein ganzes Leben lang immer wieder neu zusammenbaut und neu kombiniert. In den 70er Jahren kommen noch grafische Arbeiten hinzu, in den 80ern Videobänder und jene Skulpturen, die eben aus dem Würfelmodul des Fernsehers entstehen. Auch im Videoschnitt hat er seine Strategien beibehalten, immer wieder neu zusammenzubauen, also die Bänder, das Bildmaterial wiederholt sich, ein stetes Sampling und Modulieren von bereits vorhandenem Material: TV-Mitschnitte, japanische Werbesendungen, eigene Bänder, Mitschnitte von Performances. Dabei bleibt sein Denken von der Musik her immer erhalten, ein Denken aus musikalischen Prinzipien heraus.
Video ist bei ihm nicht als eine billigere Variante zum Film gedacht, sondern wirklich als eine Technologie zum Eingreifen, zum Manipulieren, und auch in diesem Sinn ein Vorläufer des Digitalen, also ein Baustein, der immer wieder andockbar an Elemente des Alltags ist, fähig, vorgefasste Prinzipien in Frage zu stellen. In diesem Sinne sehe ich Paik auch jetzt noch für interessant an, man kann diesen antiquierten Visionär sehen als jemand, der als gedanklicher Ausgangspunkt inspirierend sein kann für heutige Medienkunst.