Die Absicht des Video ist, dem TV zu dienen. Genau in dieser Absicht ließen dessen ››Entscheidungsträger« es herstellen. Es ist ein Werkzeug, das die Aufzeichnung der Programme, die ausgestrahlt werden sollen, also ihre Ausarbeitung und vorgängige Zensur, gestattet. Das Video beseitigt die Überraschungen einer Direktsendung. Es ist ein Werkzeug, das den Absichten des TV-Systems dient, welches seinerseits ein Bestandteil des kulturellen Systems ist, das uns bestimmt.
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Zwar ist der Monitor dem ersten Eindruck nach ein Spiegel, aber zwischen ihm und »klassischem Spiegeln sind ebenfalls zahlreiche Unterschiede festzustellen. So sendet der Monitor Töne aus. Er gibt die rechte und die linke Seite nicht verkehrt wieder, ist also in diesem Sinn das genaue Gegenteil eines Spiegels. Er reflektiert nicht das Licht, das von der Szene ausstrahlt, sondern sendet ein kathodisches Licht aus. Er bietet also ein vollständig anderes Bild als der klassische Spiegel, ein in revolutionärer Weise neuartiges Bild. Denn durch seine Töne, seine Reflexionsachse und durch sein Licht kehrt er alle unsere traditionellen Konzepte einer reflektierten, spekulativen Wirklichkeit um. Das versetzt den Beobachter des Monitors in einen Raum, für den er über keine Koordinaten verfügt. Er verliert die Orientierung. Wie ein Spiegel ist der Monitor eine Oberfläche aus Glas, aber da er den Spiegel umkehrt, ähnelt er eher dem Fenster. Darin gleicht er wiederum dem TV – im Unterschied zur Leinwand der Malerei und des Films, die eine Wand ist. Die Projektion der Diapositive und des Films ist ihrer Entstehung nach eine Weiterentwicklung der Malerei, deren Ursprung sich auf den Höhlenwänden von Lascaux und Altamira findet. Der Monitor ist wie das TV eine Weiterentwicklung spiegelnder und durchsichtiger Oberflächen, deren Ursprung die vom ››primitiven« Menschen beobachtete Oberfläche des Wassers bildet. Das Video befindet sich auf einem anderen Ast des genealogischen Bildbaumes als das Kino. Diese Differenz gilt es sichtbar zu machen, um Video und TV aus der Herrschaft zu befreien, die das Modell des Films über sie ausübt.
aus: Vilém Flusser: Gesten